Another day in Paradise

Nicht nur ein Tag, es waren drei!

Und keiner so wie ihn Phil Collins in seinem berühmten Ohrwurm besingt: nichts von Großstadt-Solitüde oder Pflaster-Tristesse.
Es waren vielmehr drei Tage im Kreis einer befreundeten Familie, drei Tage an einem Ort in einer Welt jenseits.

Las Brenas Rio Alumine

Jenseits des Flusses, wohin kein Auto findet. Auch keine Stromleitung, kein Handy-Signal, kein Telefondraht. Das Wasser kommt aus dem Berg oder aus dem Fluss, das Brot aus dem Backofen, die Zwetschgen vom Baum.
Zum Nachbarn, fünf Kilometer flussabwärts, kommt man mit dem Pferd, zurück in das Diesseits mit Hilfe von Fidel, dem Mapuche-Indianer, und seinem kleinen Boot, an dem ein 18 PS Außenborder hängt.
Hat der Rio allerdings gerade auf wild geschaltet, dann schaffen es auch 50 Pferde nicht. Man bleibt im Jenseits und freut sich, dass man one more day in paradise erleben darf.

“Nun mal langsam” höre ich da einen spötteln, “paradiesisch mag als Metapher ganz gut funktionieren, aber Du tust ja so als wäre das Land, in dem man riskiert von gebratenen Wachteln erschlagen zu werden, gleich um die Ecke!”

Ach, ihr Spötter und Skeptiker!

Erstens liegt “Las Breñas” tatsächlich gleich um die Ecke, nach argentinischen Maßstäben jedenfalls: keine 120km sind es von San Martin aus, nach nur knapp zwei Stunden auf Asphalt und Waschbrett Richtung Norden bin ich dort.
Und zweitens ist es vor allem eine Sache der (Ein)Bildung und Ansicht, was man als Metapher versteht.

Las Brenas Rio Alumine

“Las Breñas” ist nicht der Garten Eden, das verrät schon der Name: “Land zwischen Felsen, voller Gestrüpp”, so könnte man Breñas übersetzen. Klingt ziemlich wild, ist es auch – wenigstens auf 99,9 Prozent seiner knapp 2000 Hektar. Gerade das macht für mich einen Teil seines paradiesischen Charakters aus. Natur pur, ohne irgendwelche Modifikationen durch den Menschen. Und so weit weg von allem, dass mich keine Nebeneffekte der Zivilisation stören. Kein Licht einer nahen Stadt, kein Lärm von Verkehr, kein Dunst und Gestank von Fabriken oder Kläranlagen. Und der Himmel leer und weit. Paradies, Teil A.

Teil B hat mit den weniger wilden 0,1 Prozent seiner Fläche zu tun. Genauer gesagt mit einem Stück Land ungefähr 200m lang und 100m breit, das sich wie eine unkomplizierte Mischung aus Country Club, Freigehege und Obstgarten präsentiert.
Ist man nicht gerade in Wanderstiefeln oder Pferdesattel unterwegs lebt man dort.
Im Haupthaus gibt’s das Frühstück in einer urigen Küche mit einem großen Herd, der hier cocina economica genannt und mit Holz befeuert wird. Im stattlichen Speisesaal nebenan wird getafelt.

Getafelt sage ich –

und meine ich. Nicht gegessen wie im “El Regional” in San Martin, oder im Frohsinn in Würenlingen. Ich kann mich nur an ein dîner erinnern, das der Genuss-Erfahrung in diesem Ambiente nahe kommt und das gab’s am table d’hôte einer Ferme in den Bergen der Haute Provence.
Hat sich der Wind bis zur spätabendlichen Essenszeit – so gegen halb Zehn – gelegt, gibt’s im Sommer die halbe Kuh im Freien, gleich neben dem gemauerten Grill, der parilla. Und weil wir im Paradies sind ist auch der Wein vom Feinsten. Dafür garantiert Señor Jorge, der Senior am Tisch und in der Familie. Er ist nicht nur ein Kenner, Liebhaber und Genießer von argentinischem Wein, in seinem Keller lagern auch die besten Flaschen aus den berühmten Bodegas in Mendoza und San Juan.
Als er mir ein Glas Malbec einschenkt zwinkert er mir zu und sagt: ” Den trinken sie im Himmel am Sonntag!”
Na dann: “Salud” – Prost !

Las Brenas dining room
Las Brenas casa



Paradies, Teile A und B: man spürt sie sofort, sie sind so was wie der erste Eindruck der einen verzaubert kaum dass man angekommen ist, die unerwarteten Erfahrungen, die man macht noch bevor man sich in der ersten Nacht in den Schlafsack kuschelt.
Am zweiten Abend weiß ich genauer warum ich mich hier wie im Paradies fühle:
Ich genieße die Natur, ohne es zu planen, es bewusst zu wollen – es passiert sozusagen ganz natürlich. Ich reite, schwimme, wandere, schaue später in den tiefschwarzen Himmel und sehe Sterne als wäre ich mit Saint-Exupéry auf Nachtflug.
Ich genieße die Köstlichkeiten auf dem Tisch, die mal lockeren, mal interessanten Gespräche und merke nicht einmal, dass es keine der täglichen Sensationsmeldungen bis hierher schafft.
Aber da ist noch mehr Paradiesisches, subtiler in der Wahrnehmung, schwieriger in der Beschreibung. Nach der Siesta bummelte ich den Trampelpfad am Flussufer entlang. Immer weiter, noch zur nächsten Stromschnelle, zum nächsten Bach, der aus einem der kleinen Seitencanyons herunter kam. Hinter jedem Baum, jeder Biegung des Weges sah es anders aus. Das Licht der Spätnachmittagssonne blinzelte auf Zypressen und Robles (eine hier verbreitete Eiche), nichts war zu hören außer dem Knacken der Äste im Wind, dem Rauschen des Flusses. Endlich konnte ich mal einfach so durch die Landschaft tigern. Kein Schild “Propiedad Privada, No Pasar”, etc. verbot mir den Zugang. Ich war quasi auf der anderen Seite all dieser Verbote. Die wenigen Gatter und Zäune sollten Pferde und Rinder am Ausbüchsen hindern und nicht Eigentum abgrenzen. Die ‘paisaje’ war weit offen. Grenzenlos.

Las Brenas Araucania
Las Brenas scenery



Als ich mir das klar machte blieb ich beim Wort Eigentum hängen.
Ja, tatsächlich, diese Landschaft gehört jemandem. Das Flussufer, die Wälder daneben, die Hügel dahinter. Sogar die paar Bergspitzen, die am Ende eines Seitentals in der Sonne glühten. Soweit ich sehen konnte: alles gehört jemandem.
Unvorstellbar! Wie kann Landschaft jemandem gehören?
Ein Stück Land? ja das schon. Aber die ganze Landschaft? Einem einzigen Eigentümer? Und die dahinter einem anderen?
Ich bekam diesen Gedanken nicht in den Griff. Sobald ich mir vorzustellen versuchte, dass mir mehr von dieser Landschaft gehörte als ich sehen konnte, versagte die Ein-Bildung. Wäre das toll? oder ungerecht? Gehört die Landschaft nicht allen?
Wo ist die Grenze zwischen Land(besitz) und Landschaft?

Was einem im Paradies so alles durch den Kopf geht….

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